«An- & Einsichten»
Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
«An- & Einsichten»
Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
Karl-Heinz Land
Dienstag, 6. Februar 2018, 19.30 Uhr
Hotel Seedamm Plaza, Pfäffikon SZ
Karl-Heinz Land, Digitaler Darwinist und Evangelist und Gründer der Strategie- und Transformationsberatung neuland, erhielt 2006 den «Technology Pioneer Award» auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos und dem «Time Magazine» und ist Co-Autor des Bestsellers «Digitaler Darwinismus – Der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell und Ihre Marke» und dem Buch «Dematerialisierung – Die Neuverteilung der Welt». In seinen Vorträgen setzt er entscheidende Impulse und inspiriert Menschen unterschiedlichster Positionen, den digitalen Wandel in ihren Unternehmen zu starten. Als Impulsgeber, Coach, zitierter Vordenker und internationaler Redner schafft er ein Bewusstsein für das sich rasant verändernde Marktgeschehen und die Dringlichkeit der Veränderung.
Quelle: karl-heinz.land
Man könnte sich auch die Frage stellen, ob der Mensch überhaupt zum Arbeiten gemacht ist. Denn wir könnten in dieser Zeit Sinnvolleres tun.
Wir müssen Humankapital, das wir über Bildung erzeugen, von der Gesellschaft und den Unternehmen einfordern.
Das alte Bildungssystem hat ausgedient. Was wir jetzt brauchen, sind Methoden und Sozialkompetenzen.
Franz Mattig: Welche Chancen stecken in der Digitalisierung, um globale Probleme zu lösen?
Karl-Heinz Land: Gerade das Smartphone hat die Digitalisierung stark vorangetrieben. 2013 war das Jahr des «tipping points», in dem das System von analog nach digital gekippt ist. Einerseits gab es vor 2013 mehr Festnetztelefonie, nach 2013 mehr Mobiltelefonie. Andererseits wurden 2013 zum ersten Mal mehr Google-Anfragen über Mobiltelefone als über Desktop-Computer gestellt. Es gibt noch viele weitere Indikatoren. Papier verursacht immer einen Systemunterbruch, bei dem der Mensch eingreifen muss, während digitale Systeme das Teilen und Suchen vereinfachen und fast nichts kosten. Denken Sie nur an die Logistik – die Energie, die im Prozess steckt oder bei der Distribution verbraucht wird. Mit der Dematerialisierung werden Rohstoffe gespart, was einen unglaublich positiven Effekt auf die Umwelt hat. Die Dematerialisierung ist ökologisch genial, ökonomisch allerdings unschön, weil extrem viel Geld aus der Wertschöpfung verloren geht.
Dematerialisierung hilft, Rohstoffe zu sparen und die Umwelt zu schonen.
Die Sharing Economy treibt diese Entwicklung weiter voran. Früher musste man alles besitzen, alle hatten ein Auto. Heute ist der Verkehr zu einem grossen Problem geworden. Die Dematerialisierung hilft bei der Auflösung des Verkehrs. Und die Sharing Economy führt dazu, dass Menschen, die in Städten leben, kein eigenes Auto mehr wollen. Ihnen geht es um den Nutzen, nicht um das Besitzen – mit dramatischen Auswirkungen auf die Industrie. Wir haben zum ersten Mal mit einer Generation zu tun, die durchschnittlich weniger verdient als ihre Eltern.
In der Sharing Economy geht es um den Nutzen, nicht um das Besitzen.
Das liegt zum Teil an der Digitalisierung, weil sich mit ihr Jobs und Jobprofile verändern. Ich war kürzlich auf einer Konferenz zum Thema „Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit“ am MIT in Boston. Dort wird gar nicht mehr von Arbeit geredet, sondern von Tasks, weil künftig in jedem Beruf 30-40% der Arbeit vollautomatisierbar sein wird.
Claudia Mattig: Jobs mit wiederkehrender und repetitiver Arbeit werden wegfallen.
Franz Mattig: Vielleicht nicht sofort, aber langfristig wird es jeden treffen.
Ökonomisch wissen wir noch nicht genau, wie diese Entwicklung vonstattengehen soll. Meiner Ansicht nach müssten wir uns hin zu einer ökosozialen Marktwirtschaft bewegen. Dafür müssten die Dinge neu bewertet und die Industrie dazu gezwungen werden, Zirkularökonomie zu betreiben. Es macht ja überhaupt keinen Sinn, dass wir Rohstoffe aufwändig erschliessen und nach dem Gebrauch wegwerfen. Digitale Plattformen wie Uber, Airbnb, Ebay oder Facebook verwalten und tauschen unseren Überfluss, denn in der Serviceökonomie steht nicht mehr das Produkt, sondern der Service im Fokus.
Franz Mattig: Alles wird sich kehren …
Wenn man Dematerialisierung, Sharing Economy, Zirkularökonomie und Serviceökonomie zusammen betrachtet, erkennt man die Chancen, die darin stecken. Wie der Kapitalismus das überleben wird, ist mir jedoch noch nicht ganz klar.
Franz Mattig: Welches Szenario könnten Sie sich vorstellen?
Die ökosoziale Marktwirtschaft könnte ein Übergangsmodell sein, in der Dinge oder Unternehmen nicht mehr nach Wert oder Wachstum, sondern nach Sinn gemessen werden. Durch Dematerialisierung und Automatisierung wird in 20-30 Jahren etwa die Hälfte der Arbeit, die wir heute kennen, nicht mehr existieren. Das wird zu einer hohen Arbeitslosigkeit führen. Anders betrachtet könnte man sich aber auch die Frage stellen, ob der Mensch überhaupt zum Arbeiten gemacht ist. Denn wir könnten in dieser Zeit Sinnvolleres tun. Heute denken wir stark profitorientiert, künftig eher sinnorientiert. Für einen gemeinsamen Task könnten sich flüchtige Netzwerk- und Schwarmorganisationen bilden, die sich hinterher wieder auflösen. Sieht der Mensch Sinn in dem, was er tut, ist der Lohn nicht mehr das Resultat der Arbeit, sondern sorgt lediglich für eine vernünftige Ernährung und ein gesundes Leben. Das System würde sich kehren und das bedingungslose Grundeinkommen würde existenziell werden.
Für einen gemeinsamen Task bilden sich flüchtige Organisationen, die sich hinterher wieder auflösen.
Franz Mattig: Über das bedingungslose Grundeinkommen haben wir in der Schweiz bereits – und leider zu früh – abgestimmt.
Es wurde versäumt, den Schweizern die Konsequenzen der Digitalisierung aufzuzeigen. Möglicherweise hätten sie anders entschieden, wenn sie gewusst hätten, dass mit dem Fortschreiten der Digitalisierung in 15, 20 oder 30 Jahren die Hälfte der Schweizer arbeitslos sein wird. Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es also nicht nur um soziale Gerechtigkeit, sondern auch darum, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten.
Claudia Mattig: Die Neuverteilung der Welt ist eine ernste Angelegenheit
Wir müssen das hohe Gefälle, indem ein Prozent der Menschheit mehr als die Hälfte der Welt besitzt, dringend ausgleichen. Wenn jemand anstatt fünf Milliarden nur eine Milliarde besitzt, merkt er das nicht. Er muss dadurch weder hungern noch auf eine Yacht oder einen Jet verzichten. Wenn er aber einen Zaun um sein Haus ziehen muss, um sich sicher zu fühlen, beginnt er, sein Geld gegen Sicherheit zu tauschen. Und: Wir müssen auch das Bevölkerungswachstum im Auge behalten. Werden zu den heute lebenden 7.5 Mrd. Menschen bis 2050 noch weitere 3 Mrd. hinzukommen, die versorgt werden wollen, wird unser heutiges System kollabieren. Das haben wir 2008 oder auch schon 1929 erlebt. 2008 pumpte die Gelddruckmaschine EZB hunderte Milliarden Euro ins System, ohne dass die Menschen es merkten. Ist man aber ganz ehrlich und pragmatisch, muss man zugeben, dass das Geld 2008 seinen Wert verloren hat, denn seither gibt es für Geld keine Zinsen mehr.
Franz Mattig: Geld ist nicht mehr knapp. Die Knappheit fehlt im ökonomischen Modell.
Angebot und Nachfrage regeln den Markt. Geld ist aber dermassen im Überfluss vorhanden, dass die Zinsen null oder negativ sind. Im Prinzip ist das natürlich eine Form von Enteignung.
Claudia Mattig: Im Steuerrecht stellt sich die Frage, wo der digitale Wert geschaffen wird. Hinkt das Rechtssystem der Digitalisierung hinterher?
Wer Steuerschlupflöcher nutzt, bewegt sich im legalen Bereich. So gehen bei grossen Konzernen schon mal ein paar hundert Millionen oder Milliarden durch. Die Schlupflöcher müssten unbedingt mit einer neuen Gesetzgebung gestopft werden. In Deutschland wird momentan darüber diskutiert, ob wir neben der Mehrwertsteuer auch eine Wertschöpfungssteuer brauchen. Macht Facebook in Deutschland beispielsweise X Umsatz und erzielt X Wertschöpfung, dann müsste das Unternehmen auch in Deutschland besteuert werden.
Franz Mattig: Ein Wertschöpfungsmodell würde zu einem Ausgleich innerhalb der Kontinente führen. Für die Umsetzung bräuchte es vermehrt Themen wie die Panama Papiere oder die Paradise Papers, die das Bewusstsein fördern, dass etwas zwar nicht gegen das Gesetz, aber gegen die Moral verstösst. Um so den Druck für eine neue Gesetzgebung zu erhöhen.
Google benutzt das Schweizer Bildungssystem und lässt die Studenten top ausbilden, leistet aber keinen Beitrag. Hier müsste das Wertschöpfungsmodell zum Tragen kommen. Zudem zieht Google wegen seines attraktiven Angebots alle Arbeitskräfte zu sich. Ich war vor kurzem auf dem Google Campus in San Francisco. Dort steht den Mitarbeitern ein Schwimmbad, eine Kantine, eine Wäscherei, ein Kindergarten etc. zur Verfügung. Die Kindergärten seien sogar ein Grund, um bei Google zu arbeiten, denn in den privilegierten Kleingruppen von sechs bis acht Kindern lernen die Kinder mehr und besser. Das bedeutet einerseits einen Wettbewerbsvorteil für den Arbeitgeber und andererseits einen Nutzen für den Arbeitnehmer, denn was er seinen Kindern mitgeben will, ist eine vernünftige Ausbildung. Und schon sind wir bei der Bildung. Das heutige Bildungssystem basiert auf einer zeitlich begrenzten Lernzeit, die mit dem 20. – 25. Lebensjahr beendet ist. Danach folgt die Arbeitszeit bis zum Rentenalter. Dieses System hat jedoch ausgedient. Heute müssen wir uns auf lebenslanges Lernen einstellen und Methodenwissen haben. Und wir müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen, damit die Künstliche Intelligenz darauf antworten kann.
Franz Mattig: Individuelles Lernen ist also gefragt?
Ja. Wir leben im Zeitalter der digitalisierten Personalisierung. Das trifft sowohl auf die Berufe als auch auf die Bildung zu. In Zukunft wird jeder Mitarbeiter einmal in der Woche zwei Stunden lernen müssen, am besten als fixer Bestandteil im Arbeitsablauf und unbedingt verpflichtend. Andernfalls nimmt das Wissenskapital im Unternehmen – und auch der Wert des Einzelnen für die Gesellschaft – ab. Möglicherweise hat ein 40-Jähriger dann keinen Wert mehr für die Gesellschaft oder das Arbeitsleben. Und das darf nicht sein. Daher müssen wir Humankapital, das wir über Bildung erzeugen, von der Gesellschaft und den Unternehmen einfordern.
Claudia Mattig: Wie kann Bildung das Gefälle zwischen Arm und Reich reduzieren?
Digitalisierung schafft Zugang zu Bildung und somit Chancen für eine gerechtere Verteilung. Denn: Kann ein Student in Timbuktu den Onlinekurs der Stanford University besuchen, dann hat er dieselbe Chance wie jener, der pro Semester 50‘000 Euro an der Stanford University bezahlen muss. Die Digitalisierung ermöglicht also die Demokratisierung von Bildung und hilft, die Welt gerechter aufzuteilen. Wenn wir das als Chance verstehen, werden wir den Planeten retten und die besprochenen Probleme lösen können.
Die Digitalisierung ermöglicht die Demokratisierung von Bildung und hilft, die Welt gerechter aufzuteilen.
Claudia Mattig: Bildung alleine löst aber noch nicht das Problem der Klimaflucht aus Afrika.
Das Projekt Desertec beschäftigte sich genau mit diesem Thema. Die Überlegung dahinter war: Wenn wir nichts machen, werden 20 Mio. Afrikaner versuchen, nach Europa zu gelangen, weil durch die Klimaerwärmung alles so versteppt ist, dass man dort nicht mehr leben kann und es wegen der Roboter auch keine neuen Arbeitsplätze mehr gibt. Mit mehreren hundert Millionen Euro sollte in Photovoltaikanlagen und Windkraft in der Sahara investiert werden und die erneuerbare Energie über ein 3000 km langes Kabel nach Europa geschafft werden. Damit hätte man in sechs Stunden den jährlichen Energiebedarf von Deutschland erzeugen können! Jeder Roboter, den wir in Europa aber für die Automatisierung aufbauen, verhindert in Afrika einen Arbeitsplatz. Diesen Zusammenhang muss man sich einmal klarmachen!
Franz Mattig: Wir haben in der Schweiz vor Jahren intensiv zum Thema Zuwanderung der Deutschen in die Schweiz diskutiert. Unser Sozialversicherungssystem funktioniert heute nur deshalb gerade noch, weil wir seit 10-15 Jahren grossen Zuwachs an hochqualifizierten Menschen haben, die gut verdienen und keine Sozial- und Bildungskosten verursachen.
Die Bevölkerung in unseren Industrieländern wird aber immer älter, während die afrikanische Bevölkerung sehr jung ist. Das müssen wir unbedingt nutzen. Immigration ist etwas sehr Positives. Übrigens: Desertec hätte auch Nebeneffekte gehabt: In dem einen Industriezweig hätte man mit dem Verkauf der Energie an Europa Geld verdient. Der andere Industriezweig hätte sich mit der energieaufwändigen Entsalzung von Meerwasser beschäftigt, um mit dem gefilterten Meerwasser die Sahara zu begrünen. Das hätte zu einer Klimaveränderung geführt und Landwirtschaft in der Sahara ermöglicht. Aus der anschliessend aufgebauten Infrastruktur wäre ein prosperierendes Land entstanden. Wir haben also eine intrinsische Motivation, anderen zu helfen. Wir sind soziale Wesen, weil uns das hilft, zu überleben. Das ist Evolution.
Franz Mattig: Gerechtere Verteilung bedeutet nicht Sozialismus.
Korrekt. Letztendlich kann uns die Digitalisierung zu einer gerechteren Gesellschaft führen, in der die Reichen sicher leben und die Armen zu essen haben. Dafür müssen wir die Chancen erkennen und die Zusammenhänge verstehen.