«An- & Einsichten»
Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
«An- & Einsichten»
Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
«Steine sind nicht oder nur in einer sehr kurzfristigen Perspektive so statisch wie wir glauben. Sie bewegen und verändern sich durchaus – nur halt in grösseren Zeiträumen. Und das ist der Punkt, an dem wir uns von Steinen inspirieren lassen sollten: Steine erfinden sich nicht täglich neu. Sie sind im besten Sinne selbstidentisch.»
Holm Friebe
Dienstag, 2. Februar 2016, 19.30 Uhr
Hotel Seedamm Plaza, Pfäffikon SZ
Holm Friebe, Marken- und Strategieberater, Jahrgang 1972, Dipl. Volkswirt, ist Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin, Publizist und Dozent für Designtheorie an der Zürcher Hochschule der Künste und der Kunsthochschule Kassel. Er ist einer der Gründer des grimmeprämierten Weblogs Riesenmaschine und Erfinder von Powerpoint Karaoke, hat als Marken- und Strategieberater sowie als Headwriter einer Literatursendung auf MTV gearbeitet.
Sein Sachbuch «Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung» (zusammen mit Sascha Lobo, 2006) wurde zum Wirtschaftsbestseller. Mit «Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion» (zusammen mit Thomas Ramge, 2008) hat er ein wichtiges Stichwort zum Wandel der Wirtschaft geliefert. «Was Sie schon immer über 6 wissen wollten. Wie Zahlen wirken» (zusammen mit Philipp Albers, 2012) handelt von Zahlenpsychologie und ihrer Bedeutung für Gestaltung, Wirtschaft und soziale Prozesse. Zuletzt erschien von ihm «Die Stein-Strategie – Von der Kunst, nicht zu handeln» (2013).
Von 2011 bis 2013 war er zusammen mit Matthias Horx redaktioneller Kopf des Monatsmagazins «Trend Update» vom Zukunftsinstitut. Holm Friebe spricht auf Kongressen und Konferenzen zu den Themen seiner Bücher und moderiert Workshops, Panels und Podiumsdiskussionen.
Wenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin.
Wenn du dich nicht bewegst, musst du wissen, warum.
Dr. Franz Mattig und Claudia Mattig trafen Holm Friebe Mitte Oktober 2015 in Zürich zum Gespräch, aus dem wir Auszüge veröffentlichen.
Dr. Franz Mattig: Herr Friebe, Sie schreiben von der Stein-Strategie, der Mäuse-Strategie
Claudia Mattig: …der Kakerlaken-Strategie…
Dr. Franz Mattig: …und von allen möglichen Strategien. Da stellt sich mir die Frage: Ist Strategie überhaupt wichtig?
Holm Friebe: Strategie ist wichtig! Aber je mehr darüber geredet wird, desto häufiger gerät vergessen, was Strategie eigentlich ist: Strategie ist eine schmerzhafte Entscheidung für A und somit gegen B und alle anderen Optionen. Es ist eine Festlegung, eine Selbstbindung, ein Bekenntnis für eine bestimmte Richtung, von der man nicht abweichen darf. Es gibt in unserer Zeit eine Eilfertigkeit darin, Trendthemen hinterher zu rennen oder auf jede Sau aufzuspringen, die durchs Dorf getrieben wird. Dabei wird nicht pausiert, reflektiert, inne gehalten und überlegt, ob nicht das kluge Abwarten in dieser Situation auch eine probate Strategie sein könnte. Diese Option existiert ja immer; sie wird aber quasi diskreditiert, in einer Zeit, da der Wandel ein Mantra der Gegenwart ist.
Dr. Franz Mattig: Wandel und Steine – für mich als Walliser Bergler passt das irgendwie nicht zusammen.
Der Titel «Die Stein-Strategie» klingt tatsächlich paradox. Ursprünglich sollte mein Buch gängige Management-Ratgeber parodieren. Diese übersimplifizieren oft in Fabelmanier und erheben Tiere zu Vorbildern. Da dachte ich mir, dass man auch einen Stein als Vorbild nehmen könnte und fragte mich, was man von ihm lernen kann.
Dr. Franz Mattig: Im ersten Satz Ihres Buchs schreiben Sie: «Wenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin.» Das ist für mich die Definition einer Strategie. Dann schreiben Sie im zweiten Satz: «Wenn du dich nicht bewegst, musst du wissen, warum.» Das ist wunderbar formuliert, geradezu genial.
Steine sind nicht oder nur in einer sehr kurzfristigen Perspektive so statisch wie wir glauben. Sie bewegen und verändern sich durchaus – nur halt in grösseren Zeiträumen. Und das ist der Punkt, an dem wir uns von Steinen inspirieren lassen sollten: Steine erfinden sich nicht täglich neu. Sie sind im besten Sinne selbstidentisch.
Claudia Mattig: Ziel ist also nicht, stecken zu bleiben, sondern sich einfach Zeit zu lassen, um vorwärts zu kommen.
Diese langfristige Perspektive zeichnet oft familiengeführte KMU aus. Sie denken nicht in Quartalsergebnissen, sondern schon an die nächste Generation. Bei KMU können Veränderungen auch mal ein paar Jahrzehnte dauern. Das ist für mich echter Heroismus: Sich gegen den Zeitgeist zu stellen. Also nicht aktionistisch zu handeln, sondern auch nach reiflicher Überlegung unbequeme Dinge, die konträr zum Zeitgeist sind, durchzusetzen. Mir geht es ja auch ein bisschen darum, ein Bild zurecht zu rücken und zu sagen: Es könnte auch ganz anders sein! Ich will die zögernden, abwartenden Menschen im Unternehmen rehabilitieren, die eben nicht bei jedem neuen Thema Hurra schreien und mit wehenden Fahnen in die Richtung rennen, die gerade aktuell ist. Diese Bedenkenträger in Unternehmen werden oft diffamiert und in die Ecke der Bremser und Verhinderer geschoben. Dabei zeigt sich, dass dies vielfach erfahrene Menschen sind, die Dinge verhindern wollen, weil diese vielleicht doch nicht gut genug abgehangen und gereift sind.
Das ist für mich echter Heroismus: Sich gegen den Zeitgeist stellen.
Also nicht aktionistisch zu handeln, sondern auch nach reiflicher Überlegung unbequeme Dinge, die konträr zum Zeitgeist sind, durchzusetzen.
Claudia Mattig: Das sind dann sozusagen die «zweiten Mäuse», die den Käse fressen, nachdem die «erste Maus» in die Falle getappt ist.
Bei neuen Entwicklungen gibt es immer Hasardeure, die als Erste eintreffen und abräumen wollen. In aller Regel kann man ruhig zusehen, wie auf dem Gipfel des Hypes dann die grosse Enttäuschung kommt. Nur darf man sich nicht verleiten lassen und denken, das Thema sei nun vorbei, abgeräumt und tot. Im Gegenteil, jetzt ist für die zweite Maus der richtige Moment, um einzusteigen, von den Fehlern der Pioniere zu lernen und es richtig zu machen.
Dr. Franz Mattig: Die Aufgabe des Pioniers ist also, etwas Neues anzustossen, ohne selbst eine nachhaltige Entwicklung zu realisieren.
Nicht unbedingt. Es gibt auch Fälle von Pionierunternehmen, die mit einer Idee bzw. Innovation gross und damit anschliessend auch permanent erfolgreich geworden sind.
Claudia Mattig: Wichtig scheint mir, dass man – gerade als Unternehmer – zum richtigen Zeitpunkt handelt, d. h. nicht zu früh und nicht zu spät.
Kennen Sie die nützliche Kunst der Prokrastination, also des Aufschiebens? Top-Tennisspieler wissen, wie sie einen Schlag noch einige Millisekunden hinauszögern, bevor sie sich für eine Richtung entscheiden. Es gibt erfolgreiche Mediziner, die ihre finale Diagnose möglichst lange aufschieben, bis hin zu Komikern, Politikern und Anlegern. Die erfolgreichsten Profis sind jene, die erkennen, welches Zeitfenster ihnen für eine Entscheidung zur Verfügung steht.
Dr. Franz Mattig: Es ist also eine Frage des Timings
Genau. Die wahre Kunst besteht darin, sich selbst zu disziplinieren und innerhalb des Zeitfensters – ohne dieses zu überschreiten – eine Entscheidung möglichst lange offen zu halten. Dieses Vorgehen hat vielleicht mit Erfahrung, mit dem Alter, mit der Reife zu tun – aber nicht notwendigerweise. Aber es ist die einzige strategische Empfehlung, die ich aus meiner Beschäftigung mit dieser Materie ableiten kann.
Dr. Franz Mattig: Wer sich so verhält, kann aber ziemlich faul wirken.
Denken Sie an die verzerrte Entscheidungsmatrix in den meisten Unternehmen: Für Aktionismus wird niemand abgestraft. Es war dann zwar die falsche Entscheidung, aber man kann sagen, der Handelnde war zumindest nicht untätig. Er hat im besten Glauben daran, das Richtige zu tun, beispielsweise unglaubliche Summen versenkt. Immerhin ist das Bild des zupackenden Machers nicht angekratzt… Wohingegen jemand bei seinem Chef durchfällt, der die weitere Entwicklung einer Technik noch ein Weilchen abwarten, beobachten und allenfalls zwischenzeitlich mit kleinem Geld auf ihre Funktionsfähigkeit testen will. So ein Verhalten ist fast nicht kommunizierbar.
Dr. Franz Mattig: Wie kann ein Unternehmer an seiner Strategie festhalten, ohne sich neuen Entwicklungen zu verschliessen?
Einerseits gilt: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Will heissen: Gewisse Dinge lassen sich nicht beschleunigen. Anderseits sollte man das Gras wachsen hören und darf den Kopf bei neuen Trends nicht in den Sand stecken. Strategische Starrköpfigkeit ist mir sehr suspekt, weshalb die Antwort in der Mitte liegt. 1978 hat Deng Xiao Ping die chinesische Öffnungspolitik so beschrieben: Nach den Steinen tastend den Fluss überqueren. Man prüft also laufend, ob man noch auf dem richtigen Pfad geht, wie die Strömung verläuft, ob und an welcher Stelle es eine Brücke braucht usw.
Ebenso wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch kaum keine Strategie verfolgen.
Dr. Franz Mattig: Gibt es überhaupt ein Tun ohne Strategie? Ist nicht eigentlich alles Tun und Lassen letztlich bewusstes oder unbewusstes strategisches Handeln?
Schlechte Strategien sind Schönwetterprogramme, die niemandem wehtun. In guten Zeiten kommt man damit halbwegs über die Runden. Es handelt sich bei ihnen um die Illusion einer Strategie, mit der Firmen wie riesige Tanker orientierungslos dahintreiben. Und es gibt Dinge, die von Ferne tatsächlich aussehen wie eine Strategie, aus der Nähe betrachtet aber als Handlungsanleitung so nicht zu gebrauchen sind. Ebenso wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch kaum keine Strategie verfolgen – aber man kann eine schlechte Strategie verfolgen.
Claudia Mattig: Ob eine Strategie schlecht oder gut ist, zeigt sich erst in der Krise?
Es gibt dieses schöne Bild des «long fuse – big bang». Nehmen wir eine 1. August-Rakete mit sehr langer Zündschnur. Eigentlich denkt man nach dem Anzünden, die Zündschnur sei schon aus. Man weiss es allerdings nicht genau. Doch irgendwann zündet das Ding und die Rakete fliegt in den 1. August-Himmel. Beim Betrachten des Feuerwerks weiss man dann: Auch wenn es etwas länger gedauert hat – es funktioniert…