«An- & Einsichten»
Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
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Beiträge zum kreativen Management von kleinen und mittleren Unternehmen
«In den letzten 15 bis 20 Jahren sind einige Faktoren zusammen gekommen, die nun beginnen, den Kontinent zu verändern. In Afrika verzeichnen jene Länder einen Wirtschaftsaufschwung, die keine Rohstoffe haben. Auslöser dafür war der Mobilfunk und das Internet. Wir müssen Afrika als Produktionsstandort entwickeln.»
Christian Hiller von Gaertringen
Dienstag, 31. Januar 2017, 19.30 Uhr
Hotel Seedamm Plaza, Pfäffikon SZ
Christian Hiller von Gaertringen, Journalist und Autor, geboren 1964 in Stuttgart, war Redakteur der «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Lyon und Wien arbeitete er als Wirtschaftsjournalist und Korrespondent für zahlreiche deutsche und französische Medien, darunter «Die Welt», «Frankfurter Rundschau», «Le Monde» und «Wirtschaftswoche». Sein Sachbuch «Afrika ist das neue Asien. Ein Kontinent im Aufschwung» erschien 2014 im Hoffmann und Campe Verlag. Darin beschreibt er, wie verzerrt Deutschlands Perspektive auf den afrikanischen Kontinent ist: Im Vordergrund stehen Kriege und Krisen, Katastrophen und Krankheiten. Doch unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit erleben viele afrikanische Staaten einen beispiellosen Wirtschaftsboom und Innovationsschub. Auf seinen Reisen in viele afrikanische Länder hat Christian Hiller von Gaertringen das Entstehen einer neuen, selbstbewussten Mittelschicht beobachtet: Zahllose Start-up-Unternehmen arbeiten erfolgreich, Ausbildungsverhältnisse haben sich teils massiv gebessert, und es gibt völlig neue Aufstiegschancen. Die deutsche Wirtschaft läuft Gefahr, diesen Aufschwung mit all seinen Chancen auf neue Handelsbeziehungen zu verpassen. Ein Plädoyer für echte wirtschaftliche Zusammenarbeit statt Entwicklungshilfe.
Quelle: www.hoffmann-und-campe.de
Man muss sich bewusst sein, dass Afrika ein Kontinent mit 2000 Sprachen und unzähligen Kulturen ist.
Von einer afrikanischen Kultur zu sprechen, ist unmöglich.
Dr. Franz Mattig und Claudia Mattig trafen sich mit Christian Hiller von Gaertringen Ende Oktober 2016 in Frankfurt zum Gespräch, aus dem wir Auszüge veröffentlichen.
Franz Mattig: Sie haben über viele Jahre hinweg in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu den Themen Finanzen, Geldanlagen und Börse geschrieben. Wie kommt es, dass Sie nun über Afrika schreiben?
Christian Hiller von Gaertringen: Ich interessiere mich schon lange für Afrika, früher eher in kultureller Hinsicht. Als ich meine Frau kennenlernte, die aus Kenia stammt, nahm sie mich mit zu ihrer Familie und da lernte ich Afrika von einer ganz neuen Seite kennen. Ostafrika hat keine Rohstoffe und trotzdem hat ein Wirtschaftswachstum stattgefunden. Das weckte meine Neugier als Ökonom und ich wollte den Grund dafür herausfinden. Auslöser für das Wirtschaftswachstum war der Mobilfunk und das Internet.
Franz Mattig: Warum sind Ost- und Westafrika aus wirtschaftlicher Sicht so unterschiedlich? Hängt das mit der Kolonialzeit zusammen?
Da gibt es sicherlich einen Zusammenhang. Während die Franzosen ihre Kolonien direkt kontrollierten, bildeten die Engländer lokale Eliten aus. Die Engländer regierten ihre Kolonien über eingeborene Repräsentanten und bauten so Eliten vor Ort auf, was sich positiv auswirkte.
Franz Mattig: Ich habe in Bern studiert und war am Ende meiner Studienzeit im Rahmen einiger Projekte in Kamerun. Auch wir stellten damals gewaltige Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung französischer und englischer Kolonien fest. Kann das nicht auch auf bessere ökonomische Verhältnisse in Westafrika zurückgeführt werden?
Rohstoffe sind ein Fluch, denn sie sind die grössten Wachstumsverhinderer. Sie bringen keine Gewinne – sie werfen Renten ab. Rohstoffe sind deshalb wertvoll, weil sie knapp sind. Oder wenn sie knapp sind. Gleichzeitig muss man keine marktfähigen Produkte entwickeln und produzieren. Rohstoffe führen dazu, dass die Erlöse von wenigen Menschen angeeignet und der Bevölkerung vorenthalten werden. Rohstoffe machen faul und korrupt. Daher haben gerade jene Länder nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung, die kaum Rohstoffe haben.
Rohstoffe sind ein Fluch.
Sie machen faul und korrupt.
Claudia Mattig: Diejenigen Länder, die mehr Anstrengung abverlangen, um Wohlstand aufzubauen …
Russland hatte bis zum Fall der Mauer Industrie. Heute ist sie weitgehend weg und Russland lebt sehr viel stärker als früher davon, Rohstoffe auf den Weltmarkt zu werfen.
Claudia Mattig: Sie kritisieren in Ihrem Buch die Entwicklungshilfe, die aus Europa kommt und Afrika in seiner Entwicklung blockiert …
Ja, es gibt da mehrere Aspekte. Zum einen ist jeder Mensch demjenigen verpflichtet, der ihm Geld gibt. Als Arbeitnehmer dem Arbeitgeber, als Steuerzahler dem Staat usw. Wenn eine afrikanische Regierung sehr viel mehr Entwicklungshilfe erhält als sie Steuereinnahmen erzielt, ist sie in sehr starkem Masse den ausländischen Geldgebern verpflichtet. Weil eine Regierung aber ihren Wählern und nicht ausländischen Geldgebern verpflichtet sein sollte, unterbindet dieser Umstand die Ausbildung von Demokratie. Zum anderen entscheidet derjenige, der die Entwicklungshilfe gibt, sehr stark darüber, was in einem Land gefördert wird und was nicht. Dementsprechend wird das finanziert, was in Europa gut ankommt. Gerade das, wofür Spendenorganisationen sammeln, ist das, was bei uns sehr gut ankommt und in Afrika vielleicht nicht wirklich benötigt wird. Zynisch ausgedrückt heisst das: Waisenkinder gehen immer, dafür kann man immer Geld sammeln. Wenn sie hungern, noch einfacher. Aber für viele andere Bevölkerungsgruppen, die möglicherweise viel mehr leiden oder in viel grösserer Zahl leiden, kann kein Geld gesammelt werden, weil das marketingmässig bei der europäischen Bevölkerung nicht ankommt. Die afrikanischen Regierungen haben da kaum Mitspracherecht. Letztendlich fördert Entwicklungshilfe nicht unbedingt den wirtschaftlichen Aufschwung, sondern setzt naturgemäss dort an, wo versucht wird, die Folgen eines ausgebliebenen Wirtschaftswachstums zu reparieren. Man gibt Geld für sozial schwache Menschen oder bedrohte Wildarten aus, was grundsätzlich nicht schlecht ist. Aber man investiert nicht in Zukunftsindustrie und Wirtschaftsaufschwung.
Claudia Mattig: Entwicklungshilfe ist also nicht nachhaltig …
Es verhindert die Entwicklung einer wirtschaftlichen Dynamik. Auch die wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen in Afrika initiieren karitative Projekte. Für einen afrikanischen Unternehmer ist es eine Selbstverständlichkeit, karitativ tätig zu sein. Das betone ich deswegen gerne, weil in Europa sehr stark der Eindruck vorherrscht, nur wir Europäer würden etwas für Afrika tun. Dem ist nicht so. Afrikaner tun sehr viel für sich selbst. Ich komme gerade aus Nairobi. Dort habe ich einen Unternehmer getroffen, der mir berichtet hat, dass viele Kinder in ihren Schulleistungen zurückbleiben, weil sie ohne Frühstück zur Schule gehen. Er sorgt nun dafür, dass diese Kinder morgens einen Brei bekommen, der mit Nährstoffen und Vitaminen angereichert ist.
Entwicklungshilfe verhindert die Entwicklung einer wirtschaftlichen Dynamik.
Claudia Mattig: Man hört immer wieder von Projekten, die gescheitert sind. Da wird zum Beispiel der Bau von Brunnen unterstützt und solange die Entwicklungshelfer vor Ort sind, funktioniert alles. Sobald sie nicht mehr vor Ort sind, verfallen die Brunnen.
Ich habe selbst ein solches Projekt gesehen. Das Dorf ist völlig abgeschnitten von der Aussenwelt, liegt an einem zwanzig Meter breiten Fluss und ist nur mit einem Floss zu erreichen. Eine Hilfsorganisation hatte die Idee, das Wasser nach oben zu transportieren, damit die Menschen ihre Felder bewässern können. Sie bauten unten am Ufer ein wunderschönes Pumpenhäuschen mit Dieselgeneratoren, um das Wasser in grossen Steigrohren nach oben zu transportieren. Oben mündete das Wasser in ein Bassin und von dort aus musste die Dorfbevölkerung Gräben bauen, um das Land zu bewässern. Aber was diese Hilfsorganisation nicht bedacht hatte: Das Land sieht auf den ersten Blick zwar flach aus, ist aber wellig und so staute sich das Wasser an verschiedenen Stellen zurück. Das hatte zur Folge, dass die Pflanzen an den einen Stellen ertranken und an den anderen verdorrten. Hinzu kommt, dass dieser Fluss zwar immer Wasser hat, der Wasserstand während den Regenzeiten aber sehr stark variiert. Nach der ersten grossen Regenzeit stand das gesamte Pumpenhäuschen unter Wasser und war somit unbrauchbar. Diese Hilfsorganisation – das habe ich im Nachhinein recherchiert – feiert dieses Projekt übrigens heute noch als ihren Erfolg.
Claudia Mattig: Bedeutet das, dass sich die Entwicklungshilfe viel zu wenig mit den Begebenheiten und der Kultur vor Ort auseinandersetzt?
Genau. Man unterstellt den Afrikanern, sie wären zu blöd, um sich selber zu entwickeln.
Franz Mattig: Hat Sie das inspiriert, nach Asien zu schauen und nicht nach Afrika?
Während der grossen Entkolonialisierung in den Fünfzigerjahren, als China kommunistisch wurde, waren China und Afrika auf demselben Entwicklungsstand. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf war damals in etwa gleich. Heute sehen wir, dass sich Asien enorm entwickelt hat und Afrika weiterhin zurückgeblieben ist.
Franz Mattig: Die Entwicklung in Asien wurde doch stark von Europa unterstützt, nicht?
Also wenn wir nur China nehmen, würde ich das verneinen.
Franz Mattig: Nein, ich rede von Singapur und …
Claudia Mattig: Die waren aber auch sehr kolonial, britisch geprägt …
Franz Mattig: Aber das waren dieselben Engländer, die erst in Afrika und dann in Asien waren …
Singapur war sehr stark geprägt von der starken Zuwanderung der Chinesen, die vor den Kommunisten geflohen sind und gut ausgebildet waren. Unter Mao war China aus ökonomischer und menschlicher Sicht eine einzige Katastrophe. Man bedenke nur der vielen Millionen Menschen, die unsinnigerweise gestorben sind. Deng Xiaoping ist der Mann, der das 20. Jahrhundert am stärksten geprägt hat, weil er das Wachstumspotential Chinas erkannte. Er begann, das Rohöl aus dem Nordosten des Landes an die Japaner zu verkaufen. Als Gegenleistung wollte er weder Dollar noch Yen, sondern Technologie. Er hat von Anfang an unterbunden, dass China von ausländischen Firmen als Billiglohnstandort ausgenutzt wird. Damit begann die Industrialisierung Chinas.
Deng Xiaoping hat das 20. Jahrhundert am stärksten geprägt, weil er das Wachstumspotential Chinas erkannte.
Franz Mattig: Warum gelang das in Afrika nicht? Liegt es an der Vielstaatlichkeit des Kontinents? Oder … Ich bin in einer katholischen Region aufgewachsen. Während meiner Schulzeit war es üblich, dass in jeder Familie für Afrika gespendet wurde …
Vermutlich hängt es damit zusammen. Die europäischen Missionsbemühungen haben sich sehr stark auf Afrika und auch auf Lateinamerika konzentriert. Die Engländer versuchten nie, die Inder zu christianisieren. Die Kirchen haben aber auch einen enormen Beitrag zur Volksbildung in Afrika geleistet und damit zur Entwicklung beigetragen.
Franz Mattig: In Kamerun funktionierten vor allem die religiös orientierten Projekte, wohingegen staatlich gestützte Projekte keine grossen Ergebnisse erzielten. Aber das könnten auch Einzelfälle gewesen sein, ich habe da keinen Einblick. Vermutlich steckte in den Missionen mehr Herzblut drin und schwang mehr Abenteuerlust mit als in den materiell motivierten Projekten.
Die Frage, warum Afrika in der Entwicklung so weit zurückgeblieben ist, ist bis heute nicht geklärt. Weder der Kolonialismus, die Religion, die Hautfarbe noch das Klima reichen als Erklärung aus. In vielen Gesellschaften in Afrika versucht man, soziale Konflikte über religiöse Innovationen zu lösen. Es ist völlig gleichgültig, wo man in Afrika unterwegs ist. Man findet kaum unreligiöse Afrikaner und man findet unzählige Kirchen und Moscheen. Es ist eigentlich ein europäischer Sonderweg, dass man versucht, soziale Konflikte über technische Innovationen zu verändern …
Franz Mattig: Warum sprechen Sie nun aber von Afrika als das neue Asien? Gibt es derzeit eine so starke innere Kraft, dass Sie im neuen Asien eine Chance sehen?
In den letzten 15 bis 20 Jahren sind einige Faktoren zusammen gekommen, die nun beginnen, den Kontinent zu verändern. Inzwischen gibt es eine sehr gut ausgebildete Bevölkerungsgruppe. Sehr deutlich sieht man das in Ländern wie Nigeria oder Äthiopien. In Kenia haben schätzungsweise 95% der Bevölkerung eine Schule besucht. Das ist eine Basis, auf der weiter aufgebaut werden kann. Zudem sind die Konflikte in Afrika enorm zurückgegangen. Es ist für Autokraten und Despoten heute schwieriger geworden, sich in Afrika an der Macht zu halten. In vielen Ländern sind zwar noch keine Demokratien in unserem Sinn entstanden, aber sehr starke und selbstbewusste Zivilgesellschaften. Dadurch verändern sich sehr viele Dinge.
Franz Mattig: Wir sind auch in Mittel- und Südeuropa tätig und stellen fest, dass mittelständische Unternehmen den Standort Asien aufgeben und sich nach Süd-, Ost- und Mitteleuropa zurückziehen. Sie ziehen sich also nicht nach Afrika, sondern auf europäische Niedriglohnländer zurück. Wenn ich darüber nachdenke, bedeutet Rückzug immer auch Nachgeben. Nicht unbedingt falsch, aber sehr kurzfristig gedacht. Langfristig gesehen müsste man jetzt in Afrika investieren. Wir haben eine breite Kundschaft, aber ich kenne nur wenige Unternehmer, die heute in Afrika investieren …
Wir haben bisher über Afrika als Absatzmarkt gesprochen. Ich glaube aber, wir werden Afrika als Produktionsstandort sehr viel stärker entwickeln müssen.
Wir müssen sehr viel stärker in den Produktionsstandort investieren.
Claudia Mattig: Welche Überlegungen muss sich ein Schweizer Unternehmer machen, wenn er den Standort Afrika ins Auge fasst?
Grundsätzlich muss er sich überlegen, ob er in Afrika produzieren oder bloss nach Afrika exportieren will. Wenn er lediglich exportieren will, ist vieles einfacher. Er muss sich nur gut vorbereiten, die Gesetze des Landes kennen und entsprechende Berater hinzuziehen.
Claudia Mattig: Was sollte ein Unternehmer hinsichtlich der Kultur beachten, wenn er in Afrika produzieren will? Braucht er ein kulturelles Bindeglied?
Hierfür braucht er Partner vor Ort, sowohl Geschäftsführer, andere Führungskräfte als auch externe Berater. Er sollte sich als Partner entweder Europäer suchen, die schon lange vor Ort leben oder Afrikaner, die lange im europäischen und/oder amerikanischen Ausland gelebt haben.
Franz Mattig: Wir machen dieselben Erfahrungen mit Südost- und Osteuropa.
Claudia Mattig: Gegenseitiges Verständnis ist die Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit.
Das ist das eine. Man muss sich aber auch bewusst machen, dass wir hier über einen Kontinent mit 2000 Sprachen und entsprechend vielen Kulturen sprechen. Von einer afrikanischen Kultur zu sprechen, ist unmöglich.